Krieg, Tod und Zerstörung – Dinge, die für Flüchtlinge weltweit auf der Tagesordnung standen. Wir haben uns im vergangenen Dezember mit Eva Gimmel, Initiatorin des Gengenbacher Freundeskreis Asyl, und Ana Bela Alves-Kardel, Kinderärztin und Patin einer Flüchtlingsfamile, in einer Flüchtlingsunterkunft in Gengenbach getroffen. Im Interview haben uns die beiden Frauen erzählt, wie sie den Flüchtlingen helfen und zur Seite stehen. Sie haben sich beide aus freien Stücken dazu entschieden zu helfen.
Wie kam es dazu?
Frau Alves-Kardel: Für mich war das sofort klar und sehr naheliegend. Uns geht es hier so gut, was nicht selbstverständlich ist. Aus diesem Bewusstsein ergab sich das einfach. Gerade die Kinder waren mir ein Anliegen. Ich wollte den Menschen ein bisschen Freude bringen und habe mir somit auch gleich überlegt, eine Patenschaft für eine Familie zu übernehmen.
Frau Gimmel: Genauso ging es mir auch. Die Chance zu helfen wurde mir praktisch vor die Füße gelegt. Als pensionierte Lehrerin habe ich so viel Zeit, aber immernoch das Bedürfnis, anderen zu helfen. Ich habe es einfach ausprobiert und aus der ganzen Sache ist etwas sehr Schönes geworden.
Wie viele Flüchtlinge sind in Gengenbach untergebracht?
Frau Gimmel: Momentan sind es 312 Flüchtlinge, diese Zahl ändert sich aber ständig. Hier in der Bahnhofsstraße leben 150 Menschen. Die anderen sind in der Turnhalle im Matthenhof, im Landschulheim im Höllhof und in Wohnungen der evangelischen Kirchengemeinde untergebracht. Auf engstem Raum leben Menschen aus 17 Nationen zusammen – aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Albanien, dem Kosowo, Nigeria, Indien oder auch Nordkorea.
Wie sehen die Lebensumständen in den Unterkünften aus?
Frau Gimmel:
Hier in der Bahnhofsstraße sind wir sozusagen in der „Luxus-Unterkunft“. Eine Wohnung besteht aus zwei Wohnzimmern, einer kleinen Küche und einem Bad. Ein Wohnzimmer muss für eine Familie reichen. So teilen sich um die acht Leute eine Wohnung. Pro Etage kann aber nur in einer Küche gewaschen werden – alles ist also sehr beengt. Im Mattenhof herrschen da schon andere Umstände. Dort leben fünf bis 6 Personen in Zellen, die durch Stellwände abgetrennt sind. Geduscht wird in Gemeinschaftsduschen, will man kochen oder waschen, stehen im Hof Container bereit. Darin befinden sich insgesamt vier Herde, Waschbecken und -maschinen sowie Wäschetrockner. Für junge Leute ist das ok, aber für Familien mit kleinen Kindern oft an der Schmerzgrenze.
Wie nehmen sie das Zusammenleben der Flüchtlinge untereinander wahr?
Frau Gimmel: Das Zusammenleben funktioniert sehr gut. Alle sind sehr liebenswürdig und dankbar – auch Gastfreundschaft wird sehr groß geschrieben. Gerade hier in der Bahnhofsstraße gibt es kaum Probleme. Wahrscheinlich, weil hier auch viele Familien leben. Im Mattenhof verhält es sich ähnlich. Dort sind hauptsächlich Balkanflüchtlinge untergebracht, die sehr westlich orientiert und tolerant sind. Im Höllhof ist es etwas anders, da dort viele verschiedene Nationalitäten untergebracht sind. Wo verschiedene Kulturen aufeinander treffen, kann es natürlich auch zu Unstimmigkeiten kommen. An sich sind es aber nicht die Leute, welche die Probleme verursachen. Eher die Asylgesetze, die so unheimlich eng und schwierig sind.
Welche Art von Problemen bereitet dies?
Frau Gimmel: Zum einen eine große emotionale Unsicherheit bei den Menschen, da sie nicht wissen, was die Zukunft bringt. Zum anderen wird es aber selbst dann schwierig, wenn Asyl gewährt wird. Das Amt entscheidet, wo die Menschen in Anschlussunterbringung hinkommen. So werden sie oft erneut aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen, auch dann, wenn wir bessere Ideen haben. Gerade angekommen und eingelebt, bedeutet dies wieder emotionaler Stress – eine neue Flucht. Das Amt leidet aber unter Personalmangel. Für Extrawünsche ist einfach kein Platz. Jedoch sind das Härten, die hoffentlich einmal weicher gestaltet werden – immerhin geht es hier um Menschenleben.
Was wird ehrenamtlich getan?
Frau Gimmel: Wir haben eine Kleiderkammer, in der ehrenamtliche Helfer Kleidung, Handtücher, Bettwäsche und derartige Dinge sammeln und ausgeben. Ein Nähstüblein für die Frauen – sie nähen und häkeln wie die Weltmeister. Hinzu kommt ein Fahrradreparaturdienst, an den man alte Fahrräder spenden kann. Diese werden dann instand gebracht und an die Flüchtlinge ausgegeben. Wir haben einen Garten, in dem die Menschen ihr eigenes Gemüse anbauen können. Die katholische Frauengemeinschaft organisiert jeden Mittwoch das „Café Welcome“ – die Herren sind dort außen vor. Mütter und Kinder, aus den Flüchtlingsländern und Deutschland, genießen dort das Zusammensein in gemütlicher Runde. Zudem gibt es eine Mutter-Kind-Gruppe, in der die Mütter dabei begleitet werden, wie die Kleinen ihre Muttersprache sowie Deutsch erlernen. Eine enorme Unterstützung. Die Schule organisiert einen Backwettbewerb, wobei die Schüler gemeinsam mit den Frauen internationales Gebäck zubereiten. Dann gibt es noch viele ehrenamtliche Helfer wie Frau Kardel und mich. Es wird Deutschunterricht angeboten, Paten helfen bei alltäglichen Situationen und verbringen auch ihre Freizeit mit den Familien – ein rundumschönes Konzept.
Man erlebt hier sicherlich viele schwierige Schicksale mit.Wie gehen Sie damit um?
Frau Alves-Kardel: Zunächst teile ich das jetzt mit der Familie und frage nicht danach, was war. Ich möchte sie nicht ausfragen, sondern einfach das geben, was sie gerade brauchen – gegenseitges Vertrauen aufbauen. Somit bekommt man auch ganz viel zurück. Die Arbeit empfinde ich daher nicht als belastend, sondern als Bereicherung.
Frau Gimmel: Es ist wie Frau Kardel sagt, man fragt die Betroffenen nicht aus. Ich höre aber gerne zu, wenn mir jemand etwas erzählen möchte. Viele wollen das Erlebte auch hinter sich lassen und einen Neueanfang wagen. Man drängt sich nicht auf und lernt sich durch Rantasten kennen. Mittlerweile genieße ich großes Vertrauen von sehr vielen Menschen. Harte Schicksale machen mich somit auch sehr betroffen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Frau Gimmel: Ich wünsche mir, dass die Flüchtlinge genügend Zeit erhalten, um zur Ruhe zu kommen. Zudem hoffe ich, dass man den Vorgang der Anschlussunterbringung soweit betreut, dass die Menschen aus ihrem neu erworbenen Umfeld nicht wieder herausbrechen. Eine weitere wichtige Sache, an der man arbeiten muss, ist die Zusammenführung von Familien, die voneinander getrennt wurden. Ein solcher Umstand ist sehr belastend. Und natürlich hoffe ich, dass die Bürger engagiert bleiben, denn die Arbeit ist sehr bereichernd. Man erfährt und lernt so viel – über Kulturen, Religionen und politische Verhältnisse.
Frau Alves-Kardel: Ich hoffe, dass sich mehr Menschen dazu entscheiden, sich ehrenamtlich zu engagieren. Es einfach mal ausprobieren, denn das setzt jedem eine andere Brille auf. Man lernt die Leute kennen, wodurch man nicht mehr diesen großen Berg an Flüchtlingen sieht, sondern die Menschen dahinter.
Quelle
NUMINOS-Magazin WS15/16