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Künstliche Intelligenz senkt die Kündigungsrate der Netflix-Nutzer, aber wie?

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Künstliche Intelligenz senkt die Kündigungsrate der Netflix-Nutzer, aber wie?

Alle bekannten Titel auf Netflix bereits geschaut und jetzt fällt es dir schwer eine neue Serie oder einen Film zu finden? Du willst vor lauter Verzweiflung am liebsten kündigen? Netflix schafft Abhilfe! Wie der Streaming-Dienst dein Nutzererlebnis durch KI verbessern kann und was individueller Content bedeutet, erfährst du hier.

Netflix ist mit fast 200 Millionen Nutzern der größte Streaming-Dienst auf der Welt. In über 190 Ländern wird mit Netflix gestreamt. Während der Corona-Pandemie konnte der Streaming-Riese seine Nutzerzahl weiter ausbauen. Dieser Erfolg ist kein Zufall, sondern liegt vor allem an der eigens entwickelten künstlichen Intelligenz.

Durch die immer weiterwachsende Anzahl an neuen Streaming-Anbietern und ihr vermehrtes Angebot an Inhalten, werden Personalisierungen bzw. passgenaue Empfehlungen immer wichtiger, um sich am Markt behaupten zu können. Die Nutzer*innen müssten Netflix zu folge in den ersten 90 Sekunden gecatched werden, sonst würden sie auf andere Streaming-Plattformen wechseln. Der erste Blick auf der Startseite sollte also einiges bieten und auf individuellen Vorlieben des Nutzers basieren. Um dies möglich zu machen verwendet Netflix eine künstliche Intelligenz, die die wichtigste Grundlage für alle Analysen darstellt. Diese kann anhand vorhandener Daten folgende Aufgaben erfüllen:

  1. Filme und Serien nach Gemeinsamkeiten sortieren
  2. herausfinden was Nutzer*innen für Vorlieben haben

Worin liegt der Unterschied zwischen KI, Algorithmen und Machine Learning?

Künstliche Intelligenz (KI), ist ein Teilgebiet der Informatik und der Oberbegriff für alles, was sich mit dem Versuch der Nachbildung, der menschlichen Intelligenz, beschäftigt. Es bezeichnet die Fähgikeit von Maschinen, intelligentes menschliches Verhalten nachahmen zu können.

Machine Learning (maschinelles Lernen), ist ein Teilbereich der künstlichen Intelligenz. Anwendungen verbessern sich, durch automatisches lernen von Mustern und Zusammenhängen aus Daten, ohne dafür explizit programmiert zu werden. Dadurch kann Wissen generiert, Algorithmen trainiert, und Zusammenhänge identifiziert werden.

Algorithmen sind Prozesse, bestehend aus mehreren exakten Vorschriften, die bei einer Problemlösung durchlaufen werden. Diese können als Folge von eindeutigen Anweisungen ausgeführt werden.

Was macht der Algorithmus?

Sobald du dein persönliches Netflix-Profil öffnest, erhältst du eine Auswahl an Titeln, die bereits durch bestimmte Algorithmen auf dich zugeschnitten sind. Diese Empfehlungen basieren auf deinen Vorlieben und der Art und Weise wie sie dir präsentiert werden. Algorithmen versuchen mit einem möglichst geringen Aufwand zu filtern, welche Titel dir gefallen könnten, um dir daraufhin eine Auswahl anzubieten. Im Grunde beruht der Algorithmus auf dem sogenannten content-based-Ansatz, dass bedeutet das nur nach ähnlichen Titeln gesucht wird, die durch Metadaten verglichen werden können. So können dir personalisierte Empfehlungen angezeigt werden. Weitere detailliertere Informationen findest du auch im Netflix Tech Blog.

Funktionsweise anhand eines Beispiels erklärt
Abbildung 1: „Breaking Bad“ Serie

Du magst zum Beispiel „Breaking Bad„, dann wäre vielleicht „Narcos“ etwas für dich, da gleiches Genre und ähnlicher Stil.

Wenn dir hingegen „Breaking Bad“ gefällt, aber „Narcos“ nicht, dann könntest du vielleicht einen anderen Film mit Bryan Cranston schauen. Was der gleiche Schauspieler wäre.

Abbildung 2: Schauspieler Bryan Cranston

Letzendlich basiert also der Algorithmus auf einer einfachen Wenn-dann-Logik und genau das ist es im Prinzip auch, nur das Netflix sehr viele Kombinationsmöglichkeiten hat. Der Algorithmus pflegt diese Kombinationsmöglichkeiten und erweitert diese durch Machine Learning selbstständig.

Was macht Netflix um seine Kunden zu halten?

Verwendet analysierte Daten für Eigenproduktionen

Um die Nutzer*innen von Netflix auf der Plattform halten zu können werden interaktive Inhalte in Serien und Filmen eingestzt, woran Netflix schon forscht. Die Daten aus der Teilnahme sollen dabei helfen zu verstehen, warum zum Beispiel eine bestimmte Charaktereigenschaft in einer Serie von manchen anziehender ist als eine andere. Der Algorithmus kann anhand dieser Informationen intelligenter gemacht werden und Netflix kann mehr Inhalte entwickeln, die den Zuschauern wirklich gefallen.

Die Nutzerdaten von Netflix werden bereits für die Kalkulation neuer Formate verwendet. Dabei wird geschaut welche Vorlieben die Zuschauer bei Schauspielern, Charakteren, Filmreihen und Genres haben und wie daraus ein neues Format entwickelt werden kann. Das Nutzerverhalten und die Sehgewohnheiten aller Abonnent*innen spielen dabei eine große Rolle. Der Konzern muss so nur Titel finanzieren, die sich auch wirklich für den jeweiligen Markt lohnen und hat damit ein geringeres Produktionsrisiko, im Vergleich zu herkömmlich produzierten Filmen. Zu den bekanntesten Eigenproduktionen zählen beispielsweise die Serien „House of Cards„, sowie „Orange Is The New Black„. Statt nur eine Staffel zu drehen kann Netflix gleich zwei drehen und so Kosten sparen. Durch die Analyse der Nutzergewohnheiten treffen neue Filmempfehlungen meist den Geschmack der Abonnenten. So kann Netflix Marketingkosten einsparen und das Geld wieder in die Produktion neuer Filme und Serien, sowie die Verbesserung ihrer Technik, investieren.

Es sollten aber trotzdem nie alle Entscheidungen einer KI überlassen werden. Vorab zu wissen, wann welcher Film und welche Serie in einem bestimmten Land erfolgreich ist, gehört zu einem riesigen wirtschaftlichen Vorteil von Netflix.

Versucht optimale Bildqualität zu erreichen

Dafür verwendet Netflix das selbst entwickelte KI-Tool „Dynamic Optimizer“, was das Ziel hat eine bestmögliche Bildqualität, bei geringem Bandbreitenverbrauch, zu erreichen. Alle Frames, also jedes Bild in einer Serie oder einem Film, werden in Echtzeit analysiert. Die Kompressionsrate wird auf Grundlage von verschiedenen Elementen, wie Beleuchtung, Komplexität und Bewegung, für jedes Bild, angepasst. So ist es schon möglich den Datenverbrauch, um den Faktor 1000 zu reduzieren. Die Zuschauer*innen sollen den Eindruck bekommen, dass kein Datenverlust stattgefunden hat.

Verwendet personalisierte Thumbnails

Thumbnails (Miniaturbilder) sind für die Benutzer*innen der erste Eindruck, ob ihnen ein Titel gefallen könnte oder nicht. Ein Bild kann das Gehirn um einiges schneller verarbeiten, als einen Text. Die Thumbnails sollen deshalb die Stimmung des Filmes oder der Serie wiedergeben. Netflix trainiert seine KI, um für jeden Nutzer das beste Filmcover basierend auf dem Inhalt auszuwählen. Das Cover kann einen aufregenden Moment zeigen oder aber auch eine Szene, die die Kernaussage des Filmes vermitteln soll. Um individuelle Thumbnails erzeugen zu können wird von Netflix das System AVA (Astatic Visual Analysis) verwendet. Dieses erzeugt aus den Quellvideos statische hochqualitative Einzelbilder und analysiert durch Ranking-Algorithmen, welche Ausschnitte sich für ein Thumbnail eignen. Falls du mehr dazu wissen willst schaue dir unbedingt den Beitrag auf dem Netflix Tech Blog an.

Erstellt individuelle Anordnungen für jede Netflix-Startseite

Netflix verwendet hierzu ein zweistufiges zeilenbasiertes Ranking-System

Algorithmen und komplexe Systeme versuchen die Reihenfolge der Titel innerhalb einer Zeile, sowie zeilenübergreifend untereinander, bestmöglich zu ordnen. Jede Zeile hat die drei folgenden Personalisierungsebenen:

  • Auswahl der Zeile (z. B. „Weiterschauen“, „Derzeit beliebt“, „Preisgekrönte Komödien“ usw.)
  • Auswahl der Titel, die in der Zeile angezeigt werden, und
  • Bewertung der Titel.
Abbildung 3: Anordnungsprinzip von Netflix

Die Zeile, die am besten zu dir passt, wird ganz oben angezeigt. Die Titel innerhalb dieser Zeile werden beginnend mit dem relevantesten, von links nach rechts angeordnet. Letztendlich hat so jeder Nutzer seine eigene individualisierte Netflix-Startseite. Meist besteht diese aus ungefähr 40 Zeilen mit jeweils 75 Elementen, was abhängig vom Endgerät ist.

Setzt KI gesteuerte Vorhersagen ein

Netflix verwendet für seine KI-Vorhersagen zwei Werkzeuge, dazu zählen Knowledge Graphs, sowie sogenannte Similarity Maps. Beides kann die KI durch ihre gesammelten Daten erschaffen.

Similarity Maps sind vereinfacht gesagt Karten, die Titel nach unterschiedlichen Kriterien und Ähnlichkeiten grafisch anordnen. Kriterien können zum einen Kategorien, wie das Genre betreffen oder auch sehr spezifisch sein, wie Stimmungen oder der Humor eines Films. Letztendlich lassen sich Gemeinsamkeiten zwischen Titeln als Gruppe identifizieren.

Abbildung 4: Beispielhafte Similarity Map

Knowledge Graphs, also Wissensgraphen, geben hingegen Verhältnisse zwischen einzelnen Inhalten und Inhalte zu anderen Datenpunkten an. Datenpunkte können unter anderem das Genre oder das wesentliche Thema der Geschichte sein.

Eine auf Wissensgraphen spezialisierte KI wird mit diesen Informationen trainiert und erstellt selbständig anhand aller gesammelten Daten „Knowledge Graphs“, also eigene Graphen. Dadurch lernt sie auch neue Titel, die noch nicht im Netflix-Katalog zu finden sind, in diese Graphen einzuordnen. Damit entsteht ein stetig wachsendes neuronales Netzwerk, das regelmäßig neue Metadaten, Tags und andere Informationen erfasst. Durch dieses Vorgehen ist Netflix in der Lage ein Grundkonzept für einen neuen Film oder eine Serie zu schaffen. Grundstimmungen und andere Eigenschaften aus früheren, erfolgreichen Filmen werden miteinander kombiniert.

Abbildung 5: Beispiel für Knowledge Graph der Netflix KI

Die Abbildung 2 zeigt beispielsweise, durch den Knowledge Graph, dass Apocalypse Now (1979) auf Heart of Darkness (1993) basiert oder in 21 Grams (2003) sich die Handlung um moralische Dilemmata, Zielkonflikte, dreht.

Welche Daten sammelt Netflix eigentlich von seinen Nutzern, damit der Algorithmus passende Vorschläge machen kann?

Damit der Algorithmus passende individuelle Vorschläge geben kann, werden die Sehgewohnheiten ausgewertet, sowie das Feedback der Zuschauer*innen, wie gut oder schlecht sie die Serie bzw. den Film bewertet haben. Zu den Sehgewohnheiten zählt unter anderem die Tageszeit sowie die Nutzungs- bzw. Sehdauer. Außerdem wird berücksichtigt, was Mitglieder mit einem ähnlichen Geschmack sonst noch schauen, wobei das Abspielgerät ebenfalls registriert und ausgewertet wird.

Beim Einrichten eines neuen Netflix-Konto dienen die Titel, die du anfangs likest als Grundlage für erste Empfehlungen, ansonsten generiert Netflix selbst eine Liste aus beliebten Titeln unterschiedlichster Genres. Aufgrund deiner ersten angesehen Titel, versucht Netflix ein Datenprofil zu entwickeln, welches den oben genannten Kriterien entspricht. Dabei fallen zuletzt angesehene Titel stärker ins Gewicht des Empfehlungssystem, als welche aus der Vergangenheit.

Jeder Nutzer wird anhand der gewonnenen Daten in eines von über 2000 sich ständig weiterentwickelten „Taste Communities“ eingeordnet. „Taste Communities“ sind nichts anderes als Gruppen von Netflix-Nutzern, die ganz bestimmte Serien oder Genres konsumieren. Aus dieser jeweiligen Gruppe von Nutzern entstehen dann Wiedergabelisten, wie zum Beispiel von Nutzern die gerne Frauen in der Hauptrolle bevorzugen oder Superhelden-Filme schauen.

All diese Informationen werden Algorithmen übergeben, um daraus ein passgenaues Empfehlungssystem zu entwickeln. Bei der Auswahl der Titel sollen Netflix zu folge keine demografischen Informationen, wie Geschlecht oder Alter berücksichtigt werden.

Wie wichtig sind Metadaten für Netflix?

Nach Angaben von Netflix, werden 80 Prozent der gesamten Streaming-Inhalte nur über datenbasierte Empfehlungen entdeckt. Sogenannte „Recommendation Engines“, also Empfehlungs-Maschinen, können nur passende Inhalte empfehlen, wenn die Metadaten der gesamten Netflix Inhalte ausreichend und korrekt bestehen. Die Erstellung der Metadaten erfolgt durch maschinell lernende Systeme, die jeden Inhalt mit typischen Informationen, wie dem Genre, den Schauspielern, den Hauptthemen und den Sprachen abspeichern. Aus diesen ganzen gesammelten Informationen lassen sich nun Empfehlungen geben, die der Nutzer bei einer Suchanfrage erhält.

Der Algorithmus funktioniert bei der Suchanfrage am besten, wenn der Nutzer nach einzelnen Kategorien sucht. Die Empfehlungen der maschinell lernenden Systeme stoßen jedoch auch an ihre Grenzen. Netflix versucht deshalb auch durch wöchentlich wechselnde Listen mit den zehn meistgesehenen Inhalten einer Region, dem Nutzer auch Titel vorzuschlagen, die nicht den Empfehlungen des Algorithmus entsprechen. So können sie auch für ihre Eigenproduktionen werben und den Nutzer anregen, etwa ein neues Genre anzusehen.

Was macht Netflix Kündigungsraten letztendlich so gering?

Das Geschäftsmodell des Streaming-Anbieters basiert auf dem Gefühl der Nutzer*innen, dass für sie das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Der Konzern konzentriert sich deshalb auf das Konzept „Binge Watching“. Hierbei schaut der Zuschauer über lange Zeiträume eine Serie nach der anderen vor dem Streaming-Gerät an. Man geht davon aus, dass die Nutzer*innen dann der Meinung sind, ihre Investition habe sich ausgezahlt. So kann ihnen das Gefühl gegeben werden, die richtige Wahl für ein Abonnement getätigt zu haben. Die Nutzer*innen bleiben weiterhin bei Netflix und stellen so einen größeren Wert, CLV (Customer Lifetime Value), für das Unternehmen dar.

Dem Nutzer soll auf der Plattform nie langweilig werden, da Nutzerdaten, Algorithmen und Berechnungssysteme, so Netflix, immer wieder neue Empfehlungen generieren könnten. Die Algorithmen sollen durch jede Nutzerinteraktion trainiert werden, sodass die Vorhersage der Titelauswahl noch besser wird.

Fazit

KI kann zwar die gesamten Daten aller Nutzer*innen verarbeiten und Muster erkennen, aber verstehen kann sie diese noch nicht. Die künstliche Intelligenz bestizt keinen Verstand, das heißt wenn sie durch fehlerhafte Daten oder schlechter Programmierung unpassende Empfehlungen anzeigt, merkt sie das nicht.

Titel-Vorhersagen treffen deshalb nicht immer den Geschmack für uns Nutzer*innen, da die Interessen nicht statisch, sondern oft Situations-, Tages,- und Stimmungsabhängig sind.

Netflix betont, dass der Erfolg ihrer Titel sehr stark von ihren Nutzern abhängt und es deshalb umso wichtiger ist, ihre Bedürfnisse zu kennen und die Daten zu nutzen, die durch ihre Profile entstanden sind. Trotzdem kann langfristig gesehen die Gefahr bestehen, dass immer mehr von dem produziert, was schon erfolgreich war. Es sollte nicht zu einem wiedererkennbaren Schema-F bekannter Formate führen, nur damit Netflix die Kundenbindung halten kann. Wirklich zu verstehen, warum ein bestimmter Handlungsbogen einen Zuschauer mitreißt ist und bleibt zukünftig wohl eine der schwierigsten Aufgaben.

Wichtige abschließende Erkenntnisse

  • Erhöhung der Datenmenge durch Abonnenten-basiertes Geschäftsmodell, somit Auskunft über Präferenzen des Kunden, sowie über den Konsum der Inhalte
  • Geringe Kündigungraten ermöglichen individuelle Empfehlungen von Inhalten, die Kundeninteresse steigern kann
  • Ständig wachsende Datenbestände ermöglichen KI über die Vorlieben der Nutzer*innen zu lernen
  • Netflix kann eigene Inhalte produzieren, die sich an den Sehgewohnheiten der Nutzer*innen orientieren
  • KI senkt den Bandbreiten-Ressourcen Verbrauch, durch Übertragen ausschließlich wichtiger Daten


Möchtest du noch mehr über die künstliche Intelligenz bei Streaming-Diensten erfahren? Dann schaue am besten gleich hier:

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